AGENDA

10 Okt. 2024
17:30

SOMA LISTENING SESSION 2: Ludwig Berger

1 Nov. 2024
17:30

SOMA LISTENING SESSION 3: Ludwig Berger

HIT AND HEART POINTS, 22.11. – 11.1.2025

Aline Witschi

Vernissage
Fr, 22.11.2024, 18:00

Finissage
Sa, 11.1.2025
19:30 Listening Somatic Rituals
21:30 Dj sets


Das Werk von Aline Witschi ist von einer Kosmologie intimer Bezüge durchwoben. Von der Erde bis zum Himmel, die Tiefe ihrer Flachreliefs und die Kraft ihrer zerbrech lichen Maschenringe beeindrucken. Zunächst in ihrem grossen Skizzenbuch skizziert, kristallisieren sich Alines Skulpturen in dem von ihr gewählten Medium, dem Ton, heraus. Die Werke, die auf einer rigorosen, taktilen und sich wiederholenden Auseinandersetzung mit dem Material beruhen und ausschliesslich mit natürlichen Pigmenten arbeiten, vermitteln ein Gefühl der Zeitlosigkeit zwischen futuristischen Botschaften und Überbleibseln der Vergangenheit schwebend. Ihr Werk wird so tiefgründig wie die magnetische Anziehungskraft des Materials, das sie so gekonnt manipuliert.

Deine Skulpturen lassen uns in eine Welt ein- tauchen, die Fantasie erinnert und gleichzeitig eine sehr organische Ästhetik hervorruft. Was sind deine Inspirationen, die sich durch deine Arbeit ziehen?
Die Themen und Inspirationen meiner Arbeit sind mit dem Material verbunden, in diesem Fall Ton. Schliesslich ist es das Material, auf dem wir leben, daraus das ganze Leben. Ton transportiert für mich aber auch eine zeitliche Dimension: In Ausgrabungen werden Relikte aus Ton gefunden, die die Linie der Zeit mit der Gegen- wart verknüpfen – wie ein Faden, der aus der Tiefe empor gezogen wird. Ich versuche, meine Werke mit diesem Faden zu verbinden und mache Gedankensprünge zeitlich nach vorne und zurück, nach unten und oben. Dabei forme ich mit meinen Händen Oberflächen aus Ton, die bereits wieder überwachsen sein werden, wenn sie frisch gebrannt sind.

Deine Faszination für Ton ist tatsächlich ungebrochen. Es ist nicht nur ein Material, das du verwendest, sondern auch eines, das du thematisierst. Könntest du ein paar Worte darüber verlieren, was dich ursprünglich dazu gebracht hat, mit diesem Material zu arbeiten, und was dich weiterhin dazu motiviert, es zu verwenden? Wann hat es zum ersten Mal Einzug in deine Praxis (oder dein Leben) gehalten?
Eine erste intensive Auseinandersetzung mit Ton hatte ich in meinem Bachelorstudium, wo ich in Zeichenstudien textile Oberflächen untersuchte und diese spä- ter auf die „Häkchen“ aus Ton übertrug. So entstanden Installationen an geraden Metallstangen und später an Metallkreisen. Mich fasziniert der zunächst formbare, weiche Zustand des Tons, der dann später hart und brüchig wird. Mit der Form des Tons und den beweglichen Gliedern versuche ich, die Qualität beider Zustände zu verbinden. Ich denke auch immer wieder an Gerüste, wie das Knochengerüst des menschlichen Körpers, und gehe in der Vorstellung weiter, dass Leben auf starren Systemen aufgebaut wird und diese ebenso unterbrochen werden müssen.

Du erwähnst auch die Bedeutung der Wiederholung in deiner Praxis, die Besessenheit vom Material, von der Geste, von der Routine – ein fast monomaterieller künstlerischer Wille zu arbeiten. Was bedeutet diese sich wiederholende Geste für dich?
Die Arbeit mit meinem Körper und vor allem meinen Händen ist mir wichtig. Dabei konzentriere ich mich auf die Formgebung des Materials. Die repetitiven Abschnitte im Prozess eröffnen mir Raum zum Nachdenken. Die Wiederholung ist ein beruhigender und doch zusammenhaltender Bestandteil meines Werks. Vielleicht ist es eine Art Versöhnung mit der Wiederholung im Leben, dem Leben, den Weiterentwicklungen sowie den Brüchen und Rissen und dem Spannungsfeld zwischen all dem.

Während einige Stücke an Formen von Rüstungen oder Kettenhemden erinnern, vermittelt das Material selbst ein Gefühl von Zerbrechlichkeit und Poesie, das eine faszinierende Spannung in unserer körper- lichen und emotionalen Auseinandersetzung mit den Werken und ihrem Material erzeugt. Könntest du auf diese Spannung näher eingehen?
Als Antwort schlage ich ein Gedankenbild vor: Die Rüstung und das Kettenhemd umhüllen einen menschlichen Körper. Im Querschnitt sieht man auf der einen Seite das Innere des Körpers und seinen Organismus, auf der anderen Seite die äussere, weltliche Landschaft. Die Sinnesorgane des Körpers, aber auch Haut, Härchen und Ähnliches, sind der Übergang zwischen diesen beiden Welten. Ich stelle mir eine Wechselwirkung dieser beiden Seiten vor und denke unvermeidlich an emotionale und körperliche, undefinierbare Formen, die zwischen diesen Ebenen hin- und herfliessen. Aus dieser Vorstellung her- aus entstehen Werke, die für mich keiner Seite mehr eindeutig zuordenbar sind. Vielleicht ist das die Spannung, die du benannt hast.
Wenn man sich die Titel deiner Stücke ansieht, erinnern sie oft an marine, irdische und astrale Bereiche.

Du beschreibst deine Stücke als „geerdet“ auf der Erde, mit einer irdischen Qualität, aber sie scheinen auch extraterrestrisch zu sein und suggerieren eine Art emanzipatorisches Potenzial - ein Gefühl des Wunders oder der Flucht in eine symbiotischere Welt. Was ver- bindet dich mit diesem Thema?
Wenn die Erde als Gesamtheit aller Organismen betrachtet wird und somit selbst wie ein Körper gesehen werden kann, wie es in der Gaia-Hypothese von James Lovelock beschrieben wird, lässt sich die Vorstellung vielleicht leichter nachvollziehen, dass alles, was unerklärlich und weit entfernt erscheint, als Versuch herangezogen wer- den kann, um mit Ton (Erde) einen Entwurf für etwas Unfassbares zu schaffen. Die Sterne und der Funken blieben in meiner Arbeit hängen, vielleicht weil Ton ein elektrisch nicht leitendes Material ist und wir Menschen im Gegensatz dazu so eng begleitet sind von allem Digitalen. Es wäre schön, wenn meine Werke die Betrachtenden anregen könnten, sich selbst in einem grösseren, wechselseitigen System und einem symbiotischen, sich verändernden Austausch zu sehen, und die einzelne Perspektive womöglich für einen Moment aufgesprengt wird.

Woher stammt der Titel der Ausstellung?
Der Titel ‚Hit and Heart Points‘ verweist auf die digitale Welt der Spiele, in der ‚Hit Points‘ über Leben und Tod entscheiden, und auf die organische Dimension des Her- zens, das für Emotionen und Leben steht. Die Blumen, die meine Werke so oft überwachsen, sind aus kleinen Her- zen modelliert. Der Gegensatz zur digitalen Welt und die Verbindung zum Schachbrettmuster im grossen Wand- relief, in dem Sinnesorgane mit den starren Strukturen des Schachbretts kämpfen, führen den Titel vielleicht am bildlichsten vor.

Aline Witschi (1995, Biel/Bienne) absolvierte die Propädeutikschule in Biel/Bienne und erwarb einen BA an der Hochschule der Künste Bern (HKB) besuchte das Studium der Kunstgeschichte an der Universität Bern. Im Jahr 2023 schloss sie ihr Studium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) mit dem MFA ab.

Die Ausstellung wird unterstützt von der Stadt Biel, dem Kanton Bern, Pro Helvetia, Gubler-Hablützel Stiftung, Temperatio, Burgergemeinde Bern, Ursula Wirz Stiftung.