BASS MY TRESPASS, 24.1. – 1.3.2025
Vernissage
Fr, 24.1.2025, 18:00
20:30 Lesung Olga Hohmann
21:00 Dj set KRONE COURONNE
« There is a time that is rhythmic rather than linear; a time that stresses return, repetition, breaks, openings and closings and not endless progression or progression to an end » (Jamieson Webster, Disorganization & Sex, 2022)
Ich liege im Bett, ich fühle mich orange. Es riecht nach Metall, die Uhr tickt, irgendetwas piept, einmal in der Stunde - ist es der Feuermelder? Ein Geigerzähler? Eine Kuckucksuhr? Ist tatsächlich schon eine ganze Stunde vergangen? Der Tag rückt immer näher, orange geht die Sonne auf.
Bevor das Fieberthermometer erfunden wurde, unterschied man verschiedene Fieberarten nicht als „höher“ oder „niedriger“, sondern nur in ihrer Qualität. Manchmal konnte der Zustand sogar eine synästhetische Qualität haben: Fieber konnte zum Beispiel rot sein, oder gelb, manchmal, in Kombination mit Übelkeit, grün. Leuchtendes Fieber oder stumpfes Fieber, süßes Fieber oder bitteres Fieber, klebriges, poröses, weiches der hartes Fieber. In der letzten Raunacht fühle ich mich orange und metallisch, magnetisch fast. Kupferfarben - wie Rost, wie getrocknete Blutspuren nach dem Wäschewaschen.
Als das durch Messgerät eingeführt wurde, richtete sich das Interesse plötzlich auf den Ausschlag des Quecksilbers auf der Skala - weg vom Patienten, hin zum Gerät, zur Skalierbarkeit, zur Vergleichbarkeit, zur Verbindlichkeit. Höher und niedriger trat an die Stelle der Farben, der Qualität, des Charakteristikums, der Poetik des Fiebers. Niemand interessiert sich nun mehr für die genauen Halluzinationen, für die schlingernde Qualität des Halbschlafes, die Heimsuchungen, die Stimmen und Bilder, die Doktor:innen wollen nur noch wissen, wie häufig sie auftreten. Ist es Drehschwindel oder Schwankschwindel? fragen sie und stecken einem das Fieberthermometer in eine der Körperöffnungen oder in alle Löcher, abwechselnd. Chemie und Alchemie liegen manchmal auf der selben Skala.
Im Trockenen können die Dinge nass werden, während sie, ohnehin nass, schwer „noch nasser“ werden können. Nass, trocken oder feucht - ebenfalls Begriffe, die zum Messen, zum Kategorisieren, gedacht sind. Wen aber interessiert die Charakteristik des Wassers selbst? Ist es trüb oder klar? Ist es weich oder hart? Manchmal sieht man die Beschaffenheit des Wassers weniger, indem man das Element selbst betrachtet, als indem man die Materialien betrachtet, die von ihm berührt wurden: Die eigenen Haare, zum Beispiel. In Berlin haben die Menschen fahles Haar, weil sie von „hartem“ Wasser berührt wurden, während Schweizer Wasser das Haar zum glänzen bringt.
Das Gefäß wird von seinem Inhalt ebenso geformt, wie der Inhalt von dem geformt wird, was ihn umgibt. In umgedrehter Form balanciert es seinen imaginären Inhalt, die Luft, wie ein Förmchen, mit dem man Architekturen in den Sand baut. Die Burg schützt sich, mit dicken Mauern, gegen Angriffe von Außen. Minimal Art, insbesondere Land Art, ist struktureller Imperialismus - das Markieren von Revier, von Territorium, sagt Marcel Broodthaers und trägt ein Hütchen auf dem Kopf, auf dem „Museum“ steht, während er mit Schaufel und Formen Architekturen an den Strand baut - die nur darauf warten, von einer Welle erfasst zu werden.
Das Gleichmäßige verteilen von Gegenständen auf einer Fläche: Ein Balanceakt. Kennt ihr das Spiel, bei dem eine Gruppe Menschen, sich so im Raum verteilen muss, dass der Boden, wäre er eine bewegliche Fläche, nie aus dem Gleichgewicht geraten würde? Selten habe ich Menschen so aufmerksam die Präsenz voneinander spüren sehen. Sie schauen auf den Boden, nach unten, und sind dabei radikal unmittelbar - die Bewegungen von einander antizipierend, wie Hellseher:innen. Ein Schwarm.
Die Vogelperspektive ist, ebenso wie das Ergebnis des Messgerätes, immer eine Konstruktion: Welcher Vogel schaut schon zu Boden, glaubend, er könnte den Überblick behalten? Vögel sind kontinuierlich in Bewegung, Mauersegler schlafen sogar in der Luft, sie schalten dabei eine Gehirnhälfte aus, die andere bleibt wach. Nach ein paar Stunden wechseln sie nicht, wie wir Menschen, die Position, sondern lösen, wie eine Fieber messende Nachtschwester im Krankenhaus, die eine Hirnhälfte durch die andere ab. Eine so genannte „Vogelperspektive“ haben sie nie, auch ihr Fieber wird nicht gemessen, zumindest nicht auf einer durch Quecksilber in Bewegung gebrachten Skala. Das Fieber der Mauersegler ist orange, grün oder gelb - und so ist es auch ihr Blick auf die Erde. Radical with-ness from above. Der Boden ist beweglich, er verflüchtigt sich, man kann ihn nie als Ganzes erfassen.
Nie werde ich vergessen, wie es war, stundenlang in einem Faradyischen Käfig zu sitzen, ein Schnellzug, auf den die Hochspannungsleitung gefallen war, weil ein Blitz in ihn eingeschlagen hatte - wir kriegten zunehmend Stromschläge, zuerst nur dann, wenn wir mit der Nase gegen die Fensterscheibe des Zuges stießen, später dann auch, wenn wir mit den Nasen gegeneinander stießen.
Was ist Energie? fragte ich einmal einen befreundeten Physiker und er antwortete, gleichermaßen enigmatisch wie ernüchternd: Gespeicherte Arbeit.
Ein Blitzableiter funktioniert nur mit einem buchstäblichen doppelten Boden. (Ebenso wie die Psychoanalyse). Ein Blitzableiter sieht aus wie eine Waffe - wie so viele Dinge, die zum Schutz von Menschen vor Naturgewalten entwickelt wurden. Man sagt: Die Katastrophen werden von den selben Technologien erzeugt, die sie auch diagnostizieren. Skalierbarkeit ist Autorität, ist Übergriff, ist Gewalt.
Text von Olga Hohmann
Julia Znoj (*1990 Bern, Schweiz) arbeitet und lebt in Wien und Thun. Znoj absolvierte einen BFA an der Zürcher Hochschule der Künste und schloss ihr Studium an der Akademie der bildenden Künste Wien in der Klasse Textuelle Bildhauerei von Heimo Zobernig ab. Von 2016 bis 2020 war sie Mitbetreiberin des Ausstellungsraums Gärtnergasse in Wien. Zu ihren jüngsten Einzel- und Duoausstellungen zählen: Joy Street (2024), WAF Galerie, Wien (AT); Zone 1, Vienna Contemporary mit Windhager von Kaenel (2023); Unhinged (2023), Sharp Projects, Kopenhagen (DK); She is in it not not at all (2022), Kunstraum Schwaz (AT); aquadrome bubblepad (2021), Unanimous Consent, Zürich (CH). Ihre Arbeiten wurden in den folgenden Gruppenausstellungen gezeigt: Swiss Art Awards, Messe Basel (CH); Ghost Decider, Swiss Institute, New York City (US); Metal Machine Music, Louis Reed, New York City (US); Bridging the Gap, Kiefer Hablitzel Göhner Preis, Swiss Art Awards, Kunsthaus Langenthal (CH); Light at Eight, Loggia, Wien (AT); Stoffe im Raum, Heiligen Kreuzerhof, u.a..
Die Ausstellung wird unterstützt von Pro Helvetia und der Burgergemeinde Bern.