CONSUELO, 14.3. – 26.4.2025
Vernissage
Fr, 14.3.2025, 18:00
19:30 Soundperformance Tobias Maria Koch
21:00 Dj set HMOT
Workshops
Sa, 15.03.25, 15:00-17:00
Stickereien mit Consuelo Cifuentes
Sa, 22.03.25, 15:00-17:00
Fermentation von Byungseo Yoo
Sa, 29.03.25, 15:00-17:00
Stickereien mit Consuelo Cifuentes
Finissage
Sa, 26.4.2025
17:30 Soundperformance Tobias Maria Koch
Während den letzten Monaten hat Guadalupe Ruiz an einem Buch mit dem Titel «El Libro ilustrado/The Picture book» gearbeitet. Die Künstlerin beschreibt es als „Potpourri“, in dem inszenierte Bilder ihres Hauses, analoge Fotos ihres Sohnes Octavio – von seiner Geburt bis zu seinem achten Lebensjahr – sowie verschiedene Bildersammlungen miteinander verwoben sind. Obwohl das Buch bereits einen Titel und 190 sorgfältig gestaltete Seiten hat, befindet es sich noch in der Entstehungsphase. Es existiert bisher nur in Form einer PDF-Datei und einiger gedruckter Doppelseiten, die in der Ausstellung zu sehen sind.
Auf dem Umschlag dieses Buches ist eine grosse rote Tomate zu sehen, die Signatur der Künstlerin und ein kleiner handschriftlicher Hinweis auf Spanisch: „Schneide die Tomate auf und löse sie ab.“ Angesichts der Fülle an visuellen Informationen, die darauf folgen, mag diese bescheidene Zeichnung einer Tomate belanglos erscheinen. Dennoch stellt sie einen sehr passenden Einstieg in das Schaffen der Künstlerin dar. In erster Linie, weil sie sich für Anekdoten begeistert und sich oft von Zufällen inspirieren lässt. Vor allem aber, weil es sich um eine Zeichnung handelt, die sie in ihrer frühen Kindheit angefertigt hat und die ihre Mutter später aufbewahrt hatte. Heute sammelt und archiviert die Künstlerin ihrerseits sorgfältig die Zeichnungen und Bastelarbeiten von Octavio (sie hat darüber hinaus seine ersten Worte auf Spanisch festgehalten, die einen Grossteil der Texte des Buches ausmachen).
Die Tomate ist zudem eines der eindrucksvollsten Symbole in der Geschichte der Kolonialisierung und Globalisierung. Dieses Gemüse, das heute fälschlicherweise mit mediterranen Kulturen in Verbindung gebracht wird, war in Europa bis zum 16. Jahrhundert völlig unbekannt. Es wurde von den spanischen conquistadors aus Südamerika importiert. Nun ist es so, dass Guadalupe Ruiz sowohl Bielerin als auch Kolumbianerin ist. Vor fast dreissig Jahren wanderte sie in die Schweiz aus, wo sie studierte und sich ein Leben aufbaute. In gewisser Weise hat diese Tomate also etwas von einem Selbstporträt oder einer unerwarteten biografischen Allegorie – ähnlich wie wenn sie im Zusammenhang mit bedruckten Baumwollgeweben, den sogenannten «Indiennes», zu deren Geschichte sie derzeit recherchiert, betont, dass sie selbst eine «Indienne» ist.
Diese Tomate besticht also durch ihre schöne, tiefrote Form, die perfekt mit dem grünen Rand des Buchumschlags harmoniert. Wer sie kennt, mag sich an das heitere Pop-Art-Gemälde einer Tomate erinnern, das der Schweizer Peter Stämpfli 1964 gemalt hat, oder an die Formen der geometrischen Abstraktion denken. Oder sie kann einen an die lange malerische und fotografische Tradition des Stilllebens erinnern – eine Tradition, zu der Guadalupe Ruiz beigetragen hat, etwa mit ihrer grossartigen Fotoserie Flora aus dem Jahr 2013, die sich den volkstümlichen Blumenarrangements in Kolumbien widmete. Diese ganz runde, schlichte Tomate auf dem Umschlag des Buches ist somit voller Geschichten, die zugleich die Koordinaten ihrer künstlerischen Arbeit bilden. Das Heim und das Familienleben, Migrationen sowie kulturelles und sprachliches Erbe, eine tiefgehende Sensibilität für Formen- und Designgeschichte sowie ein starker Wunsch, die Hierarchien zwischen dem was traditionell als Kunst einerseits und Kunsthandwerk andererseits klassifiziert wird, zu verwischen.
Diese Tomate besticht also durch ihre schöne, tiefrote Form, die perfekt mit dem grünen Rand des Buchumschlags harmoniert. Wer sie kennt, mag sich an das heitere Pop-Art-Gemälde einer Tomate erinnern, das der Schweizer Peter Stämpfli 1964 gemalt hat, oder an die Formen der geometrischen Abstraktion denken. Oder sie kann einen an die lange malerische und fotografische Tradition des Stilllebens erinnern – eine Tradition, zu der Guadalupe Ruiz beigetragen hat, etwa mit ihrer grossartigen Fotoserie Flora aus dem Jahr 2013, die sich den volkstümlichen Blumenarrangements in Kolumbien widmete. Diese ganz runde, schlichte Tomate auf dem Umschlag des Buches ist somit voller Geschichten, die zugleich die Koordinaten ihrer künstlerischen Arbeit bilden. Das Heim und das Familienleben, Migrationen sowie kulturelles und sprachliches Erbe, eine tiefgehende Sensibilität für Formen- und Designgeschichte sowie ein starker Wunsch, die Hierarchien zwischen dem was traditionell als Kunst einerseits und Kunsthandwerk andererseits klassifiziert wird, zu verwischen.
Nehmen wir das Beispiel der Holzmöbel, die in der Ausstellung zu sehen sind. Es handelt sich um Nachahmungen. Dieser Prozess ist ein wiederkehrendes Element in Guadelupe Ruiz’ Arbeit, den sie in Verbindung bringt mit dem gängigen Phänomen von Produktnachahmungen in den unteren sozialen Schichten Kolumbiens. Im Laufe der Zeit hat sie die Stickereien ihrer Mutter, verschiedene gefundene Bilder, Möbel sowie Alltagsgegenstände reproduziert. Der Schreibtisch und der Stuhl sind zehnfach vergrösserte Nachbildung von IKEA-Plastikspielzeug. Der Schrank ist eine fünffache Vergrösserung eines Puppenhausmöbels, den sie auf dem Flohmarkt in Nidau gefunden hat. Der Sessel wiederum vereint zwei Modelle: ein Modell aus IDEAS – einer Zeitschrift für dekorative Freizeitgestaltung und Heimwerken, die sich ihre Mutter häufig anschaute und die sie selbst in ihrer Kindheit immer und immer wieder durchgeblättert hat – sowie ein zweites Modell, das sie im Bestseller Vivre sur la Terre der Amerikanerin Alicia Bay Laurel entdeckt hat. Diese frühe Enzyklopädie des Hippie-Lifestyles verzeichnet das notwendige Wissen für eine Rückkehr zur Natur.
Erst durch eine aufmerksame Betrachtung dieser handgefertigten Objekte beginnt man, einige Dissonanzen wahrzunehmen – etwa die etwas zu grossen roten Griffe oder die überdimensionierten Proportionen der Tischplatten. Man beginnt zu verstehen, dass es sich weniger um Möbel als vielmehr um Skulpturen handelt (oder, einfacher gesagt, dass die Unterscheidung zwischen diesen beiden Kategorien möglicherweise wenig Sinn macht). Gerade durch ihre präzise abgestimmte Materialität erzählen diese verschiedenen Objekte von der Vergänglichkeit der Zeit, von der Übermittlung handwerklicher Fertigkeiten, von Familie, vom Leben im Miniaturformat, von der Kindheit und von den Vorbildern, die wir mit uns tragen, wenn wir erwachsen werden. Ist das Erwachsenenleben eine Nachbildung der Kindheit? Die Mutter der Künstlerin half einst ihrer eigenen Mutter dabei, Kragen für Hemden anzufertigen. Mit 18 Jahren lernte sie das Sticken von ihrer Patentante und gab dieses Wissen später an ihre eigene Tochter weiter. Tatsächlich stammen die meisten der hier gezeigten Stickereien von ihr – die übrigen wurden von der Künstlerin selbst angefertigt.
Auch hier sind es Geschichten von Vertrauen und Lernen, die durch die gestickten Bilder der Ausstellung erzählt werden. Sie sind eine Form von Geduld und Liebe – sowohl zu den eigenen Angehörigen als auch zu scheinbar unbedeutenden, vernachlässigten Objekten. «Ich sammle viel. Gedrucktes. Objekte.» erklärt die Künstlerin, die mit grosser Leidenschaft die zahlreichen Flohmärkte in Biel besucht.
Was nicht unerwähnt bleiben sollte, ist der Eingangsbereich der Ausstellung, der eine Sammlung von Fotografiebüchern beherbergt. Diese stammen aus einer Schenkung, die vor rund dreissig Jahren von einer Privatperson an die Stadt Biel gemacht wurde – etwa zu der Zeit, als Guadalupe Ruiz in die Schweiz kam, um Kunst und Fotografie zu studieren. Sie hat diese umfangreiche Sammlung von mehr als 6000 Büchern durchgesehen und die hier präsentierten Titel sorgfältig ausgewählt und kuratiert. Diese Bibliothek stellt somit eine Begegnung zwischen einer öffentlichen Sammlung und ihrem eigenen subjektiven Ordnungssystem dar. Guadalupe Ruiz kopiert, sammelt, bewahrt auf, sortiert, ordnet und klassifiziert. Durch Bilder, Bücher und Objekte verwebt sie die Geschichten völlig unbekannter Menschen mit dem Raum der Kunst und dem des häuslichen Lebens, Erzählungen aus fernen Städten mit denen ihrer Wahlheimat sowie das Leben ihrer Nächsten. Und es ist ihre Mutter, Consuelo, die der Ausstellung ihren Titel gibt.
Text von Jill Gasparini
Guadalupe Ruiz wurde 1978 in Bogotà geboren. 1996 kam sie in die Schweiz, um Kunst zu studieren. Sie erwarb einen Bachelor in Fotografie an der ECAL in Lausanne (2002) und an der HGKZ in Zürich (2006) sowie einen Master in Bildender Kunst an der FHNW in Basel (2019). 2018 erschien «Lupita, je garde un abricot pour toi dans l'abricotier. Je lui ai dit de t'attendre», in dem sie ihrem Sohn in Bildern und Worten von ihrer Heimatstadt erzählt. 2015 veröffentlichte sie im Eigenverlag «Kleine Fotoenzyklopädie», eine Bilddokumentation verschiedener Orte, an denen sie gewohnt hat. Sie lebt in Biel und arbeitet derzeit an ihrem neuen Projekt: Las indianas.